Einführung in die Ausstellung von Ulrike Stiens
PPPP – das piano ping pong piece, komponiert von Ulrich Süße - stand Pate für die Namensgebung des Kunstbuchprojekts pdqb, welches im Rahmen der Reihe „Musik im Evangelischen Stift Tübingen“ heute
erstmals aufgeführt wird. Gedicht, Zeichnung und Komposition wollten einander jedoch gleichberechtigt begegnen in diesem Buchprojekt, sodass zunächst einmal Raum geschaffen werden musste für Neues.
Den spielerischen Zugriff der Komposition Süßes aufgreifend fand sich das p kurzerhand dreimal gedreht und gewendet, und gab mit pdqb neuen Raum frei für eben solch ein Zusammentreffen der drei
Künste.
Folgt man Friedrich Schillers Ausführungen in den Briefen zur ästhetischen Erziehung des Menschen so ist der hier bereits in der Titelfindung ausgelebte Spieltrieb Ausdruck der freien Vermittlung
zwischen Vernunftorientierung, Regelhaftigkeit auf der einen und Sinnlichkeit, Empfinden auf der anderen Seite. Das verbindende Moment der drei sich in dem Projekt pdqb versammelten Künstler ist für
mich, dass sie allesamt als Spielernaturen in Erscheinung treten - Freiheit und Leichtigkeit aus einem ebenso sorgfältigen und strengen wie schalkhaften Umgang mit Regeln beziehen.
Meine Aufgabe an dieser Stelle ist es, Ihre Aufmerksamkeit auf das bildnerische Spielfeld des Werkzyklus Rom A 4 zu lenken, aus dem die hier ausgestellten und in pdqb teils abgebildeten
Zeichnungen, stammen. Insgesamt umfasst der in den Jahren 2011-2017 entstandene Zyklus ca. 350 Arbeiten. Die Ausstellung und das Kunstbuch präsentieren eine kleine Auswahl daraus.
Ihren Namen verdanken die Arbeiten schlicht ihrem Entstehungsort, Rom, und ihrem Format – dem Din A 4. Wer Jürgen Klugmann kennt, der weiß, dass er im DinA 4 –Format für gewöhnlich nicht beheimatet
ist, sondern gerne größer arbeitet. Die Begrenzung auf das alltagstaugliche Kleinformat war zunächst schier der Raumnot geschuldet.
Klugmann lebte, als er den Zyklus begann, in Rom. Einer Stadt, in der man sich ein anständiges Atelier angesichts horrender Mietpreise schlicht nicht leisten konnte. Schnell jedoch wurde ihm die
anfänglich nicht ganz freiwillige räumliche Begrenzung zum willkommenen Anlass sich mit grundlegenden kompositorischen Fragen in der Zeichnung auseinanderzusetzen: Fragen nach dem Verhältnis
von Masse und Raum, Fläche und Linie, System und Chaos.
Ausgetestet findet sich dabei die Wirkmacht der Linie, die mit wenig viel leistet. Doch allein der Versuch auf einer begrenzten Fläche mit Hilfe von in der Natur nicht existierender Linien eine
kompositorisch stimmige Anordnung herzustellen, reichte dem DinA 4-Format- Erkunder nicht als Herausforderung.
Klugmann machte es sich zur Regel, jedes Blatt in zwei Durchgängen zu bearbeiten und so im zeitverzögerten Nacheinander des prozesshaften Entstehungsmoments dem Gestisch-Spontanen der Zeichnung
nachzuspüren und es zugleich zu überformen. Es ist das Wesen der Zeichnung, das sie in wenigen Augenblicken Welt aufs Papier setzt – Zeit im Bildraum als Spur des Augenblicks stilllegt. Diese
Bewegung wird durch das Prinzip der zwei Durchgänge systematisch dynamisiert. Zeit wird durch die zwei in ein Bild gesetzten Zeichnungen als Prozess im Raum erfahrbar. Raum in der Zeit des Flügels
und der Feder.
Im ersten Durchgang entstanden zumeist die farbig akzentuierten Aquarell-oder Tusche-Zeichnungen, im zweiten wurden diese mit Graphit- und Bleistift weiter überarbeitet. Der Gesamteindruck des fertig
erstellten Werks zeugt somit immer von einem verschwundenen, um seine Alleinstellung nunmehr beraubtem Ersten, das weiter wirkt in der Spannung des Bildes. Das Ursprüngliche ist nicht mehr zu haben –
existiert nur noch im Zusammenspiel der Beiden.
Doch nicht allein das Prinzip der zwei Durchgänge begrenzt das selbst gesteckte Spielfeld des RomA4-Zyklus. In jeder einzelnen Arbeit wird - so flüchtig es auch sein mag - ein System aufgebaut, das
dann wieder durchgespielt und unterwandert wird.
Es geht zumeist um Ähnlichkeitsmomente. Mal scheinen die Bleistiftzeichnungen die Aquarelle zu wiederholen. Bei genauem Hinsehen fällt jedoch auf, dass hier etwas nicht stimmt – kleine
Ungereimtheiten haben sich ins System geschlichen. Hier gibt etwas nur vor, ein System zu sein. Sobald man sich einlässt, entzieht es sich. Das Auge trifft auf Linien, die sich auseinander zu
entwickeln scheinen in Anlehnung an vegetatives Pflanzengewirr, und doch losgelöst im freien Wurzelweiß der Bildumgebung enden. Nur scheinbar finden sich Formen und Linien tatsächlich
wiederholt oder parallel gefügt. Eine Form ruht auf einer Scheibe, die keine Scheibe ist. Wir begegnen Flügeln eines sich erst noch erfindenden Insekts. Sinn und Mut sind groß. Vereinzelt macht ein
Auge Freudensprünge. Was zählt, sind letztlich die Bewegtheit und Dynamik, die durch die kleinen Irritationen des zur Regel gewordenen Regelbruchs entstehen und Linie, Fläche, Masse und Form in ein
Spannungsfeld setzen.
Was ist das Schöne daran? Für mich ist es die Strenge, die nicht streng ist. Die Regel, die Leichtigkeit und Freiheit schafft. Ein System, das seine eigene Doktrin überwindet. Vielleicht ist es aber
vor allem aber auch die Tatsache, dass diese Arbeiten eigentlich gar keine Worte brauchen, sondern auffordern, sich einzulassen, näher ranzugehen und ihnen nachzuspüren.
Ulrike Stiens, Tübingen am 11.3.18