Jürgen Klugmann
Jürgen Klugmann
Ostrale 16, Jürgen Klugmann Schnee 7, 2007,

Jörg Hirsch zu meiner Arbeit "Schnee"

 

 

 

anläßlich einer Lesung der Künstlergruppe Holzmarkt, in der sich sechs Lesende auf dieses Bild bezogen haben

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


                                                                 Schnee


In die Wand geschlagen 1 Nagel. An den Nagel gehängt 1 Rahmen. Über den Rahmen gespannt 1 Papier. Aufs Papier gebracht 1 Schnee.

Warum redest du so kalt? Riskierst nur diesen einen einzigen winzigen Rutscher, dieses »aufs«? »Aufs«»aufs«»aufs«!

Du bezeichnest mich als »kalt«? Ich kann auch anders:
     »Heil dem schaffenden Sinn, der zum freundlichen Garten die Wildnis
            umschuf und der Natur Schrecken in Lieblichkeit kehrt!«

Oooohhh diese Lautung!: »umschuf und der natur«. Wo hast du denn das aufgeschnappt? Welch ein »Umschuf«!  –  Wie noch mal?

     »Heil dem schaffenden Sinn, der zum freundlichen Garten die Wildnis
        umschuf und der Natur Schrecken in Lieblichkeit kehrt!«
 
Bitte, wer »umschuf« da was?! Besingt da etwa einer dies Bild, auf dem ich wenig erkenne?

Nein! Nein! Steht irgendwo. Ist das wichtig?

Nöö!  –   Ist der Gesang damit am Ende?

Die Fortsetzung ist der Schluss:
 »Wie sich die Straße so sicher und leicht zu den Höhen heraufschwingt,
           Länder mit Ländern verknüpft, Handel und Künste belebt.«

Dies jetzt erscheint mir doch etwas fragwürdig! Bin noch unschlüssig, wie  ...  fragwürdig.

Fragwürdig?  –  Es ist erbärmlich! Goldene Worte von dieser Sorte finden Bewunderung und Anerkennung. Du aber zeigst dem die kalte Schulter, der schnörkellos  –  du sagst »kalt«  –   formuliert:
In den Nagel geschlagen 1 Wand.
An den Rahmen gehängt 1 Nagel.
Übers Papier gespannt 1 Rahmen.
Aufs Schneefeld gebracht 1 Papier.  –  
Zugleich zierst du dich: Ich kann wenig erkennen … ich bin noch unschlüssig.  –  
Selbst wenn ich dir vorbete: ein Stück Wiese, es hat leicht geschneit, es hat gefroren. Schneekristalle und vereinzelt aus dem Eis ragende Stoppeln werfen einen Schatten von links nach rechts, ereiferst du dich: Wenn schon Wiese, dann bitte Wiese, wenn schon Schnee, dann bitte Tiefschnee.  –  Trinkst du noch was? Nein? Aber ich!  – Hallo!  –  Bitte noch einen Kaffee  ...  ich trinke, ich »umschuf« noch einen Kaffee!

Trink nur!, weil du ja wohl sagen willst, »Heil dem schaffenden Sinn …«, Heil usw. sei endgültig vorbei. O.k.! Und dass wir der Wildnis den Schrecken zu nehmen hätten, die Natur zu heilen wüßten  –  
das sei auch  –  passee?

Schärfer! Ich sage: Gib endlich eine Ruh damit, daß dir einer ein Stück Wiese, es ist ja ein Stück nur, soo zeigt  –  »soo«  heißt,
dass er eine Wiese in ihrer ureigensten Unlieblichkeit belässt!

Das kannst du meinetwegen in einen Essay verpacken. Gedanken. Nichts als Gedanken. Von einem Bild verlange ich einen artigen »Umschuf« zu einem Bild.  Wie so vieles, sage ich dir,
ist auch dies Stück Schnee ein Irrgarten.

Ein Garten!  –  Immerhin!

Du nennst dieses Stück Wildnis im Ernst einen Garten?

Es hat eine charakteristische Einfriedung,
hat eine Gestaltung, auf 10 Zentimeter ungefähr 60 Linien,
also tsirka 700 horizontale Rillen für eine Saat,
es hat Licht und Schatten und mich zum lustigen Aufenthalter
und Ausrufer, welcher: »umschuf der Lieblichkeit Schrecken  –  in die rauhe Natur … «  oder irgendwie so oder so ähnlich.
Ja! Rauhe Natur! Willfährige Natur!
Man muss auch der Natur ab und zu die Meinung sagen, wie dir.

Ach nee!?

Ja, nee, Sie macht ihren ständigen, ewig gleichen »Umschuf«
auf jedwedem Untergrund! Die Halme, die aus der Fläche herausragen … natürlich werden sie nach der Schneeschmelze ausschlagen,
ganz gleich, wo.

Jedenfalls ist hier auf dem Bild, was das Schaffen anbelangt,
ein Stillstand gezeigt. Stillstand zwischen Verborgensein und Aufgehen. Ein Tiefpunkt. Er zieht auch den Künstler da hinein,
wenn auch verdeckt, wie die Stoppeln im Schnee.


Vorsicht du mit deinem »Tiefpunkt«!
Die Natur braucht den Klugmann nicht, um sich selbst hervorzubringen. Dieser Schnee hier aber bräuchte ihn schon!  –  
Danke für den schnellen Kaffee.  –  
Und du trinkst wirklich nichts? Nein? Keinen Kaffee?  –  
Denn mir scheint hier etwas hervorgebracht zu sein,
was dem Auge in den gewöhnlichen Zeiten verborgen bleibt,
weil es das gar nicht erst sieht,
es ist was anderes dir aufs Auge gedrückt, zusammen mit dem Künstler, mit seiner Art zu sehen, sich selbst in ein Stück Wiese zu stecken.

Was hast du gegen das Liebliche?
Anders gefragt: Was hast du gegen die Straße einzuwenden,
die über die Höhen des Thüringer Waldes hinweg fertiggestellt war
und ehedem den eingangs zitierten verbalen Höhenflug auslöste?

Nichts! Rein gar nichts!
Aber was über sie gedacht wird  –  ich kann’s nicht brauchen!
Schärfer noch: Ich kann dem nicht zustimmen.
Nichts gegen ein Bild, das eine blühende Wiese zeigt.
Es sträubt sich aber alles in mir bei dem Gedanken an das,
was du   –  so völlig ohne Koffein  –  dann dabei vielleicht,
immer noch und immer wieder denkst.
Dieses Stück Wiese  –  der Klugmann nennt’s rutschigerweise »Schnee«  –  wo immer es in der sogenannten Realität liegt,
es wird schon irgendwo sein  –  sieht mir ganz nach Albrand aus  –  
kann sich aus sich selbst  hervorbringen und wird bald so,
bald so wachsen. Da mag dann meinetwegen Lieblichkeit entstehen, wenn’s da Veilchen hat, oder da mag Nichtlieblichkeit
oder Geradedochlieblichkeit hervorbrechen,
wenn da Brennnesseln sprießen. Das ist Sache der Natur.
Klugmanns Sache aber ist es, anderes hervorzubringen.
Meinetwegen nicht unbedingt anderes, aber anders.

Ja steht er denn  –  oder steht er denn nicht in einer Tradition?

Ja! Aber ja! Er steht mitten in Grünewalds »Schneewunder«.
Auch dies ist ein Stück Schnee,
übrigens von vergleichbaren Dimensionen,
welches in einer Sommernacht im heißen, heiligen Rom gefallen,
in ein und derselben Nacht einem träumenden Geldgeber
und einem träumenden Papst anzeigte, wo eine Kirche zu bauen sei.
Ein Klugmann will nicht, er kann nicht noch einmal ein verschneites Stück Spatenstich-Umgebung für einen Kirchenbau herbeiträumen.
Die Laterankirche ist gebaut! Der Schneewunder-Altar ist gemalt!
Der Künstler hat, wie gesagt, anderes, besser »anders« zu tun!,
sagen wir »aufs« Papier zu werfen, »aufs« »aufs« »aufs«!
Es geht was auf  –  und  –  es ist was aus. Macht zusammen »Aufs!«  

Mir doch einen Espresso bitte!  –  
Denn es muß jetzt endlich ausführlich von der Zierlichkeit der Halmstoppeln gesprochen werden,
von ihrem Geköpftsein, ihrem Herauskragen, Geknicktsein, Knicksen, Nicken und Nichtgeradestehenwollen, ihrer leisen Erstarrung,
ihrer Rillenexistenz, ihrem kürzlich-länglich-dünnlichen Starrsinn,
ihrem weiten Magenta- Schattenwurf in der Fläche aufs gefrorene Papier.

Ja, über die Stoppelzierde komme ich dir ein Stück weit entgegen, welche überall die gleiche ist,
ganz gleich, ob du Klugmanns Ausschnitt einer beliebigen Wiese unter Schnee nimmst oder den Grünewald.
Beide Schneeflächen haben eine gewisse Unreinheit, Beflecktheit,
der vom Untergrund durchbricht.  –  
Wann kommt dein Espresso?
Wir fahren nach Freiburg, gehn ins Augustinermuseum,
da hängt der Schnee von 1518 bis heute an der Wand  –  
wie hier der Neuschnee auch.
Der Papst dort macht gerade den ersten Spatenstich für seine Kirche!

Ich kenne das Bild.
Aber Grünewalds Schneestück liegt an seinen vier Ecken
unvergleichlich weich abgerundet ausgebreitet da,
wie eben Schnee sich in seinen ungeregelten Grenzziehungen
gerne selbst umrundet. Nicht scharf ausgestochen wie hier!

Gut! Gut! Das gebe ich dir zu.
Reden wir also nicht nur über Stoppeln, sondern auch über die Schärfe von Eiskristallen im watteweichen Schnee und ihre Struktur,
und nach welchen Gesetzen sich die Wassermoleküle
beim Auskristallisieren anordnen,
damit nur ja jede Flocke ein Unikat wird.
Man muß der Natur ab und zu die Meinung sagen.

Danke für den schnellen Espresso.
Denn ich muß mich geistig fit halten
und dich zunächst das Folgende fragen:
Warum muß der Künstler,
sei es nun ein Maler, ein Komponist, ein Architekt oder auch ein Literat, ständig Neues erschaffen?
Warum immer dieser Umschuf zu etwas noch nie Dagewesenem?

Das kann ich dir locker beantworten.
Sage du mir aber zuvor,
warum unterm Mikroskop keine Schneeflocke, nicht eine,
genau so aussieht wie die andere!

                                                                                    Tübingen, 29.2.08

 

 

 

 

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